Gleich zwei einschlägige Ereignisse kamen zusammen bei der Geburt des Schwäbisch-Hällischen Landschweins, der autochthonen Schweinerasse aus der Region um Schwäbisch Hall: Im Jahre 1814 endete die napoleonische Kontinentalsperre zwischen England und dem europäischen Festland, sodass Güterverkehr und Austausch von Waren und Tieren wieder möglich war.
Ein weit bedeutenderes und folgenschweres Naturereignis war der gewaltigste Vulkanausbruch der letzten 25 000 Jahre auf der Insel Sumbawa in Indonesien: Der Vulkan Tambora eruptierte im April 1815 in einem derartigen Ausmaß, dass er von vormals 4300 m auf 2800 m über dem Meeresspiegel einschmolz. Der Auswurf von Vulkangestein und Asche hatte Auswirkungen bis nach Europa. Das Jahr 2016 gilt in Nordeuropa und so auch im Königreich Württemberg als Jahr ohne Sommer. Dies führte zur schlimmsten Hungersnot im 19. Jahrhundert.
Doch wie wir aus den Zeitläuften der Zivilisation wissen, führten Katastrophen stets auch zu Innovationen und Neuerungen. Im Königreich Württemberg regierte zu der Zeit der noch junge Monarch König Wilhelm I. auf dem Königsthron mit seiner progressiven und sozial eingestellten Gattin Katharina, einer Romanov vom wohlhabenden russischen Zarenhof.
So erwuchsen aus der großen Hungersnot 1816/17 bedeutende Projekte zur „Hebung der Landwirthschaft“ im Königreich Württemberg: die Gründung der königlichen Ackerbauschule zu Hohenheim 2018, aus welcher später die Universität Hohenheim entstand, die Gründung des Königlichen Landwirtschaftlichen Vereins als Medium für die Landwirtschaftliche Beratung, dazu das königliche Correspondenzblatt des Württembergischen Landwirtschaftlichen Vereins. Ebenso wurden neue Tierrassen eingeführt, darunter auch „Chinesenschweine“ aus England, aus welchen einige Jahre später das Schwäbisch-Hällische Landschwein hervorging.
Im Jahre 1821 erreichten auf Anordnung Wilhelm 1. von Württemberg, dem „Landwirt auf dem Königsthron“, eine Anzahl „Chinesenschweine“ das Königreich Württemberg, worüber das Landwirtschaftliche Correspondenzblatt wie folgt berichtete: „Es sollte der Versuch mit einer als vorzüglich anerkannten Race gemacht werden. Die Wahl fiel auf die in England durch chinesische Schweine gegründete Zucht. Das chinesische Schwein ist als solches vortheilhaft bekannt, da es sich besonders stark vermehrt, leicht, schnell und sehr fett wird….. Um jene Vorzüge noch mit anderen zu vereinigen …. haben die Engländer durch Kreuzung … neue Arten gebildet. Es sind zweierlei Arten im Jahr 1821 hier angekommen. Die eine davon ist schwarz und groß, die andere weiß und schwarz gefleckt und etwas kleiner, letztere soll von reiner chinesischer Zucht seyn… Sie bringen viele Junge zur Welt, hier schon bis zu 15 auf einen Wurf. … Durch die schnelle Vermehrung kann diese Zucht bald sehr verbreitet werden, zu dieser Absicht haben seine Majestät schon Thiere einzeln und paarweise an bekannte Landwirthe verschenken lassen… Zu den Ebern dürfen fremde Zuchtschweine gebracht werden.“
Unter der Leitung des königlichen Güterverwalters August Weckherlin wurden dann die eingeführten Chinesenschweine auf die königlichen Domänen im Umland verteilt „zur Hebung der Schweinezucht”.
Auf einem zeitgenössischen Gemälde sind die ersten Einkreuzungen von chinesischen Schweinen
(Typ sus scrofa vitattus aus der Jinhua-Population) in die vorherrschenden domestizierten Wildschweinen
(sus scrofa scrofa) abgebildet. Es sind noch die langen Rüssel und die kurzen Stehohren der heimischen Wildschweinepopulation zu erkennen.
Bis zu dieser Zeit wurden nämlich im Königreich Württemberg und ganz Mitteleuropa ausschließlich
domestizierte Wildschweine (sus scrofa scrofa) gehalten; mit der Einfuhr chinesischer Schweine
(sus scrofa vittatus) hauptsächlich über England wurde der genetische Grundstock gelegt für alle
heute bekannten Hausschweinerassen in ganz Europa.
Dazu muss man wissen, dass China den weltweit größten Gen-Pool an Schweinerassen beherbergt:
Mehr als 120 autochthone Landrassen bevölkern das Land; die schwarzweißen Jinhua-Schweine
in Zentralchina aus der Provinz Hangzoh sind die Ahnen des Schwäbisch-Hällischen Landschweins
Über die Folgejahre Jahre kam es durch Verdrängungszucht zur reinen Schwäbisch-Hällischen Rasse,
welche dann der Ursprungsrasse Jinhua gleichkam aus der Rassengruppe der Sattelschweine.
So sind dann auch alle europäischen Sattelschweinerassen miteinander verwandt, weil sie ihren
Ursprung in der weltgrößten Schweinenation China haben:
- das Wessex-Saddleback in England
- das Essex-Saddleback in England
- das Limousin Schwein in Frankreich
- das Baaßner Schwein in Siebenbürgen, Rumänien
- die Rasse Prestice in Tschechien
- das Neapolitanische Schwein in Italien
- das Hampshire Schwein in England
- das Poland China Schwein in Polen und England
- die Linzer Schecken in Österreich
- das Basken Schwein in Spanien
- das Angler Sattelschwein in der Grafschaft Angeln
- das Schwäbisch-Hällische in Schwäbisch Hall
- das Deutsche Sattelschwein in Ostdeutschland,
welches aus der Zusammenführung des Angler Sattelschweins mit dem Schwäbisch-Hällischen Landschwein auf dem Territorium der ehemaligen DDR in den 1950er Jahren entstanden ist.
Seinen Namen „Schwäbisch-Hällisches Landschwein“ erhielt die Rasse
durch die Tatsache, dass es sich im damaligen Königreich Württemberg in
der Region um Schwäbisch Hall am besten verbreitet hat. Bereits 1826 wird
im Königlichen Landwirthschaftlichen Correspondenzblatt (Seite 320, 4)
„In Absicht auf die Schweinezucht“ berichtet: „Sie wird am stärksten und
wohl auch am zweckmäßigsten in der Gegend um Hall betrieben.
Die dortige Race zeichnet sich durch Fruchtbarkeit und leichte
Mastfähigkeit aus.“
Und 1844 war im Landwirtschaftlichen Correspodenzblatt zu lesen:
,,Das Hällische Land ist das Land der Schweine, denn nirgends versteht
man sich auf Schweinemast und Schweinezucht so gut wie im Hällischen,
nirgends sonst wird sie in der Ausdehnung getrieben und nirgends trifft
man die eigentümliche vorzügliche Race vom Schweinen an, welche der
Hällische Bauer hat.“
Das Schwäbisch-Hällische Schwein wird so beschrieben, wie wir es noch
heute kennen: schwarzer Kopf und schwarzes Hinterteil, langgestreckter
Körper, mit großen Schlappohren und langem Rüssel. Und weiter:
,,... zu loben ist ihre Mastfähigkeit, Fruchtbarkeit, die Größe ihrer Ferkel.
Man kann aber wirklich dem Hällischen Schweine nicht genug zu seinem
Lobe sagen.“
In der Stadt Hall war man so stolz auf die blühende Schweinezucht, dass man im Jahre 1841 beim Festzug anlässlich des 25-jährigen Thronjubiläums von Wilhelm I. in Stuttgart-Cannstatt auf der Fahne der Stadt und des Oberamts Hall ein „ächt Hällisches Mutterschwein mit seinen Jungen“ vorstellte.
1885 berichtet Amtstierarzt Koch über das Schwäbisch-Hällische Schwein: ,,... Sie werden auch teurer als alle anderen bezahlt.“ Und weiter : ,,... dass ich schon dreimal die in unserem Bezirke gezüchteten Schweine nach Österreich abschicken musste. Eben diese Tiere wurden bei der im September 1883 in Linz abgehaltenen großen landwirtschaftlichen Ausstellung mit dem ersten Preis bedacht. Dem Besitzer trugen sie die höchste Ehrenauszeichnung, die Silberne Verdienstmedaille, ein.“
Im Jahre 1925 wurde erstmals eine Züchtervereinigung für das Schwäbisch Hällische Landschwein gegründet, die als Zuchtziel vorgab: ,,... ein mittelfrühes, verhältnismäßig großwüchsiges Schwein von großer Fruchtbarkeit und mit guter Futterverwertung, das sich zur Herstellung von Frisch- und Dauerwaren eignet.“
Veterinärrat Dr. Zimmer aus Schwäbisch Hall-Tüngental berichtete 1950: „Beim Schwäbisch-Hällischen Schwein sind die hohen Zuchtleistungen undenkbar, wenn die Sauen nicht über ausgesprochen gute Muttereigenschaften verfügen würden. Sie bemuttern und umsorgen ihre Jungen mit besonderer Sorgfalt, die ihresgleichen sucht. Die Schweinehalter selber brauchen keine besondere Sorgfalt und Fürsorge walten zu lassen, wenn eine Sau zur Geburt kommt. Schlechte und gleichgültige Mütter sind von jeher sofort ausgemerzt worden.“
Diese Eigenschaften machten das Schwäbisch-Hällische Schwein bei den Bauern beliebt. In der Blütezeit der Schwäbisch-Hällischen Zucht, in den l950er Jahren, betrug der Marktanteil der Hällischen Rasse in Nordwürttemberg über 90 Prozent und im Landkreis Schwäbisch Hall gar 99,2 Prozent (zum Vergleich: Im Bundesgebiet lag der Anteil bei 5,9 Prozent).
In den l960er Jahren begann die Zeit des Niedergangs für die älteste und traditionsreiche Landrasse. Es war der Zeitgeist, der nach Standardisierung der Schweinezucht rief mit dem Ziel, ein „industriegerechtes deutsches Einheitsschwein zu züchten“; der holländische Magerschweine importieren ließ, die mager waren, dazu schneller wachsen und „eine Rippe mehr“ haben sollten; der Forschung, Lehre und Beratung veranlasste, den Fortschritt im Einsatz von Antibiotika und Leistungsförderern zu suchen; der alles Althergebrachte als rückständig und altbacken brandmarkte. Bauern, die an den „Mohrenköpfen“, wie die Schwäbisch-Hällischen immer wieder liebevoll bezeichnet wurden, festhielten, wurden belächelt und mit Preisabschlägen bestraft. Schließlich hielten nur noch einige wenige kleinere Betriebe Schwäbisch-Hällische Sauen und 1969 wurde die Zuchtbuchführung auf Anordnung der Zuchtleitung in Stuttgart ganz eingestellt.
Auf der Schweinezüchterversammlung am 30. Januar 1970 im Gasthaus „Zur Sonne“ in Unterscheffach empfahl Landrat Dr. Biser in seinem Grußwort, den „letzten zur Zeit lebenden Hällischen Eber auszustopfen und ins Keckenburgmuseum zu bringen, weil das Schwäbisch-Hällische Schwein weltweit für Schwäbisch Hall geworben hat”. Auf der nächsten Versammlung am 6. Februar 1970 konstatierte der Leiter des Schwäbisch Haller Landwirtschaftsamts, Dr. Renner, ,,die Schwäbisch-Hällische Rasse ist endgültig passe“. Und 1983 veröffentlichte gar der ehemalige Leiter der Landesanstalt für Schweinezucht in Forchheim, Dr. Gressel, in der Haller Zeitung einen Bericht mit der Überschrift: ,,Das Schwäbisch Hällische Landschwein - eine ausgestorbene Schweinerasse“.
Doch die Rechnung wurde ohne die Hohenloher Bauern gemacht, die einmal mehr bewiesen, dass sie ihren aufrechten Gang nie verlernt haben. In kleineren Betrieben überlebten Restbestände der traditionsreichen Landrasse, weil deren Besitzer einfach nicht einsehen wollten, dass diese robusten, gutmütigen, fruchtbaren und das bekannt schmackhafte Fleisch liefernden Tiere einfach nichts mehr wert sein sollten. Im Jahr 1982 wurden auf der Landesgartenschau in Schwäbisch Hall erstmals wieder Schwäbisch-Hällische Schweine dem staunenden Publikum vorgestellt. Die Sauen kamen aus der Restpopulation Gerner/Alpirsbach und wurden vom Betrieb Horlacher/Wolpertsdorf, ausgestellt. Weitere Restbestände überlebten im Verborgenen auf kleineren Bauernhöfen, welche die Hällischen noch für den Eigenbedarf hielten.
Der Autor selbst sammelte im Winter 1983/84 gut zwei Dutzend überlebende Hällische Tiere ein, welche auf dem Sonnenhof in Wolpertshausen Asyl bekamen. Dass die genetische Verarmung an Nutztierpopulation ein ökologisches und gesellschaftlich relevantes Problem sein kann, war zu dieser Zeit noch nicht erkannt. Versuche zu Rettung alter Haustierrassen wurden eher in den Bereich des Lächerlichen gerückt. Es hieß, man könne das Rad der Zeit nicht zurückdrehen, „Was tut man mit dem alten Glump?“ So starben in den 1960er und 1970er Jahren von einst 15 autochthonen Schweinerassen in Deutschland 12 Rassen aus wie zum Beispiel das Deutsche Weideschwein, das Baldinger Tigerschwein oder das Rotbunte Bayerische Schwein.
Die Verarmung der natürlichen Artenvielfalt ist eine Begleiterscheinung der intensiven und technisierten Landwirtschaft. Insbesondere für den ökologischen Landbau ist es deshalb notwendig und auch Voraussetzung, dass es robuste und genügsame Nutztierrassen gibt, die an die jeweiligen regionalen Verhältnisse angepasst sind und durch ihre angeborene Vitalität und Gesundheit ohne den Einsatz pharmazeutischer Hilfsmittel aufwachsen können.
Ein weiteres Motiv für die Erhaltung alter Nutztierrassen im allgemeinen und die Schwäbisch-Hällische Schweinerasse im Besonderen ist ihre hohe Produktqualität. Zwar gedeihen Schwäbisch-Hällische Schweine etwas langsamer und haben ihre natürliche Speckauflage bewahrt, doch das Fleisch dieser Rasse ist von unvergleichlich gutem Geschmack und bester Qualität.
Am 11. Januar 1984 trat eine Kommission unter der Leitung von Zuchtleiter Dr. Rittler, Schweinezuchtverband Baden-Württemberg, dem Mitglied Ernst Kühnle aus Bühlerzimmern, Vorsitzender des Bezirks Nordwürttemberg im Schweinezuchtverband Baden-Württemberg, sowie den Tierzuchttechnikern Anton Silberzahn und Karl Hofmann zusammen und beurteilte die vorhandenen Zuchttiere, ob sie für eine Aufnahme in ein „Vorbuch“ des eigentlichen Zuchtbuchs geeignet seien. Für eine direkte Aufnahme ins staatlich geführte Zuchtbuch waren die letzten Schwäbisch-Hällischen Tiere wegen „fehlender Daten“ nicht vorgesehen. Schlussendlich wurden an diesem denkwürden Tag sechs Zuchtsauen aus dem Betrieb Horlacher, Wolpertsdorf, und eine noch verbliebene Zuchtsau aus dem Betrieb Bühler in Wolpertshausen als letzte noch existierende reinrassige Schwäbsich-Hällischen Schweine im angestammten Zuchtgebiet beurteilt.
Bemerkenswert war der Widerstand etablierter Schweinezüchter der weißen Rasse und der Pietrain-Züchter, die sich vehement gegen eine Neubelebung der Schwäbisch-Hällischen Schweine wehrten. So zeigte sich bald die Notwendigkeit zur Gründung eines eigenen Zuchtverbands für die „neue“ alte Rasse. Am 18. Januar 1986 trafen sich in Schwäbisch Hall-Hessental etwa 25 Förderer der alten Landrasse, unter ihnen auch Prof. Dr. Sambraus, der Vorsitzende der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen, und gründeten mit 17 Mitgliedern die ,,Züchtervereinigung Schwäbisch-Hällisches Schwein“.
Zum Vorsitzenden wurde einstimmig Rudolf Bühler aus Wolpertshausen gewählt, zum Zuchtleiter wurde Dr. Rittler vom Schweinezuchtverband Baden-Württemberg bestimmt. Presse und Rundfunk begleiteten das Tun der idealistischen Züchter mit Schlagzeilen wie „Kommen die Schwäbisch-Hällischen Schweine wieder?“ oder ,, Das Schwäbisch-Hällische Schwein - zu retten, was zu retten ist“ oder einfach mit der Schlagzeile ,,Wiederauferstehung“. Nun war ein organisatorischer Rahmen geschaffen für die Aufbauarbeit mit der alten Traditionsrasse. Kosten für Porto, Telefon, Büromaterial, Verkaufsprospekte und eine stundenweise Mitarbeiterin wurden aus eigener Tasche und aus den spärlichen Mitgliedsbeiträgen aufgebracht. Als erste Geschäftsstelle fungierte das Tierzuchtamt Schwäbisch Hall, ab 1988 der Sonnenhof in Wolpertshausen.
Grundsätzlich muss erkannt werden, dass historische autochthone Tierrassen und Nutzpflanzen nur erhalten werden können, wenn sie wieder „gebraucht“ werden. Wir haben es bei der Erhaltung von Biodiversität hier nicht mit Wildformen zu tun, sondern mit domestizierten bzw. über Jahrhunderte gezüchteten Nutzformen, welche an das jeweilig örtlich vorherrschende Klima adaptiert und an Bedürfnisse der Menschen angepasst wurden. „Erhalten durch Aufessen“ oder „Essen ist politisch“ sind gängige Slogans in diesem Zusammenhang. So auch beim Schwäbisch-Hällischen Landschwein: Der Absatz von Zuchttieren florierte alsbald, doch die Ferkelerzeuger und Mäster fanden keinen Absatz für die neue alte Landrasse. Schwäbisch-Hällische Ferkel wurden nur mit Abschlägen von den Ferkelhändlern aufgekauft, Mastschweine wurden von den Schlachthöfen schon gar nicht angenommen.
So war es unabdingbar, für die Erhaltung der alten Landrasse eine spezifisch angepasste Marktstruktur aufzubauen, was folgerichtig zur Gründung der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall als wirtschaftlicher Verein am 20. Juni 1988 führte. Diese startete mit acht Mitgliedsbetrieben und bereits in der Gründungssatzung sind die wesentlichen Ziele niedergeschrieben: solidarisches Wirtschaften, ökologisch und sozialverträgliche Produktionsverfahren in der bäuerlichen Landwirtschaft, Organisation des Marktes für umwelt- und sozialverträglich erzeugte Produkte, Förderung einer integrierten ländlichen Regionalentwicklung in der Region Hohenlohe usw. Die Entwicklung von Märkten begann mit der Idee, dass es nicht reicht, eine alte Landrasse nur zu bewerben. Es braucht einen „Zusatznutzen“ für das Endprodukt, um es unique und fit für Premiummärkte zu machen. So wurde zu einem Runden Tisch auf den Sonnenhof eingeladen um ein „Qualitätsfleischprogramm“ zu entwickeln auf der Grundlage der alten Landrasse - verbunden mit gesundem heimischem Futter, Verbot von Antibiotika und Leistungsförderern, artgerechter Tierhaltung, Flächenbindung und eigener tierschutzgerechter Schlachtung. Mit Teilnehmer*innen aus allen gesellschaftlich relevanten Gruppen wurden die künftigen Erzeugerrichtlinien ausdiskutiert: Tierschütz-, Umwelt-, Verbraucherverbände, Kirchenvertreter, Landwirtschaftsverwaltung, Landfrauenverband und eben Bauern und Bäuerinnen.
So kam es auch erstmals zu einer Definition und verbindlichen Richtlinien für „artgerechte Tierhaltung“, bis dahin ein Fremdwort. Und es wurde deutlichst herausgearbeitet: Wenn die Bauernhöfe sich verpflichten, diese verbindlichen Erzeugerrichtlinien, welche mit hohen Kosten verbunden sind, einzuhalten und entsprechende Kontrollen zu dulden, dann müssen sie dafür auch korrekt entlohnt werden bei garantierter Abnahme. Nur so funktioniert es mit einer Art „Gesellschaftsvertrag“. Und so funktioniert es übrigens bis heute: Das Schwäbisch-Hällische Qualitätsschweinefleisch ist im Premium-Segment angesiedelt, die beteiligten Bauernhöfe haben eine garantierte Abnahme und die höchsten Auszahlungspreise in ganz Deutschland.
Dies funktioniert nur deshalb, weil die Bäuerliche Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall die gesamte Wertschöpfungskette vom Feld bis auf den Teller in eigener bzw. bäuerlicher Hand gestaltet hat: Tierzucht, Beratung, Feld, Stall, Schlachthof, Wurstmanufaktur, regionale Verbrauchermärkte, Gastronomie, Web-Shop. Ansonsten wird die enge Partnerschaft mit Fachmetzgereien gepflegt, wo man als Vollsortimenter neben Schwäbisch-Hällischem Schwein auch Rind, Kalb und Lamm vermarktet.
Neben dem Prinzip, dass sich die Wertschöpfungskette „from field to fork“ in bäuerlicher Hand befinden sollte, ist das zweite entscheidende Prinzip „from nose to tail“. Es bedarf eines schlüssigen Konzepts der ganzheitlichen Verarbeitung und Vermarktung der Schlachttiere. Nicht nur aus Gründen der Ethik, auch aus rein wirtschaftlichen Gründen, damit auch die „nicht edlen“ Fleischteile einer Wertschöpfung zugeführt werden. Beim Schwäbisch-Hällischen Landschwein sind dies die inzwischen weithin bekannten Wurstdosen, Salamis und luftgetrocknete Schinken von Bug und Keule, bis zu 18 Monate am Knochen mit Pfote gereift. Ein wirkliches Premium Produkt vergleichbar mit dem Parma-Schinken oder Pata Negra.
Bereits im Jahre 1998 wurde das „Schwäbisch-Hällische Qualitätsschweinefleisch g.g.A.“ als geschützte geografische Herkunftsangabe bei der EU-Kommission eingetragen wie andere berühmte Erzeugnisse aus bekannten Herkunftsregionen wie Champagner, Parma-Schinken, Roquefort-Käse oder Münchener Bier. Dieser Schutz garantiert die Produktqualität und schützt vor billiger Nachahmung. Denn wenn Fake-Produkte billig auf den Markt kommen, bedroht dies die Existenz der Züchter und Erzeuger, welche mit hohem Aufwand ehrlich produzieren und vermarkten.
Auf diese Art und Weise ist es erstmals gelungen, eine bereits als ausgestorben bezeichnete Landrasse zu neuem Leben zu erwecken, sie nachhaltig in die Zuchtlandschaft wieder einzuführen und im weiteren Schritt diese zu einem Potential und zukunftsfähiger Existenz für viele Bauernhöfen in ihrer Heimatregion zu entwickeln. Aus 8 Zuchtsauen in 1984 wurden 4400 Zuchtsauen in 2020. Zur Bäuerliche Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall zählen heute über 1500 Mitgliedsbetriebe. Sie ist neben dem Schwäbisch-Hällischen Landschwein Projektträger für zahlreiche ländliche Regionalentwicklungsprojekte in der Region Hohenlohe. Und diese strahlt heute als Genießer- und Bio-Musterregion weit über ihre Grenzen hinaus und lädt zum Besuch ihrer Bauernhöfe ein.